Evergrande ist nicht Lehman

Die Krise des Evergrande-Konzerns in China lässt weltweit Börsenkurse einbrechen. Anleger fürchten einen globalen Schock wie nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers. Doch die Risiken sind andere.

Der drohende Kollaps des Immobilienkonzerns Evergrande: Mit der Lehman-Brothers-Pleite in den USA vor 13 Jahren ist er nicht zu vergleichen. Anders als damals droht in China nicht die Gefahr, dass ein Aus von Evergrande eine weltweite Kettenreaktion auslösen würde. Der chinesische Finanzmarkt ist nach wie vor weitgehend abgeschottet vom Rest der Welt, und die derzeitige Krise ist ein Beleg dafür, dass das auch nicht unbedingt schlecht ist.

Angst vor Pleite verunsichert

Trotzdem könnte die Evergrande-Krise die Weltwirtschaft negativ beeinflussen. Denn erstens sorgt die Aussicht, dass einer der größten und einflussreichsten Privatunternehmen Chinas Pleite gehen könnte, für internationale Verunsicherung – mit der Folge, dass weltweit Börsenkurse einbrechen.

Zweitens ist der Immobilien-Konzern Evergrande ein de facto systemrelevantes Unternehmen in der Volksrepublik. Analysten schätzen, dass die Immobilienbranche zur Zeit für rund ein Drittel der chinesischen Wirtschaftsleistung der Volksrepublik verantwortlich ist.

Sorgen um das Wachstum

Eine Pleite des Großkonzerns Evergrande würde die gesamte Branche in eine Krise stürzen – mit der Folge, dass wohl auch unzählige Zulieferer und Baufirmen Insolvenz anmelden müssten. Weltweit würden Rohstoffpreise fallen. Zumindest kurzfristig würde in China auch die Arbeitslosigkeit steigen. Hunderttausende Menschen müssten bereits geleistete Immobilien-Anzahlungen abschreiben. Das Wirtschaftswachstum in China würde bei einer Evergrande-Pleite nachgeben – mit Auswirkungen für den Rest der Welt. Vor allem exportorientierte Staaten wie Deutschland sind davon abhängig, dass Chinas Wirtschaft wächst; dass kräftig gebaut und konsumiert wird.

Weil der Evergrande-Konzern für China so wichtig ist, wird die Staats- und Parteiführung das Unternehmen wohl nicht unkontrolliert in die Insolvenz schlittern lassen. Gut möglich, dass die Behörden einige Teile von Heng Da – so der chinesische Name des Konzerns – bewusst Pleite gehen lassen werden, um ein Exempel zu statuieren und dem Rest der Branche zu zeigen, dass die Zeiten des maßlosen Wachstums auf Pump vorbei sind. Andere Teile von Evergrande aber dürfte der Staat auffangen, um die landesweit rund 1,2 Millionen Käuferinnen und Käufer von Immobilien nicht im Regen stehen zu lassen. Die chinesische Staatsführung ist auf unbedingte Stabilität bedacht. Proteste von Betroffenen wie in vergangenen Tagen vor der Evergrande-Zentrale werden nur toleriert, so lange sie nicht aus dem Ruder laufen.

Letztes Wort hat die Staatsführung

Wie eine Lösung der Evergrande-Schuldenkrise genau aussehen könnte, ist schwer abzusehen. Dass das so ist, liegt auch an den Besonderheiten Chinas: Die Volksrepublik ist weder eine freie Marktwirtschaft, noch ein Rechtsstaat. Die kommunistische Staatsführung hat immer das letzte Wort bei wichtigen Wirtschaftsentscheidungen. Gut möglich also, dass sie in der Evergrande-Krise eine Lösung aus dem Hut zaubern wird, die rein betriebswirtschaftlich keinen Sinn ergibt und bei der für Außenstehende auch nicht wirklich nachvollziehbar ist, wie sie genau funktioniert.

Entsprechende Fragen dazu bleiben in China aus, weil auch die Medien des Landes vollständig von der kommunistischen Staatsführung kontrolliert werden. Letztlich dürfte Chinas Staats- und Parteiführung die Evergrande-Krise nutzen, um der Bevölkerung zu vermitteln, dass der Privatwirtschaft nicht zu trauen ist – und für Verlässlichkeit in China nur der Staat und die Kommunistische Partei sorgen.

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