Merkel befolgt die Regeln der brandtschen Ostpolitik – und hat Erfolg

Seit Angela Merkel mit Alexander Lukaschenko telefoniert hat, wird ihr vorgeworfen, sie habe einen Despoten legitimiert. Doch diese Logik ist verantwortungslos: Gerade in der Außenpolitik kann das Bestehen auf der reinen Moral die unmoralischste aller Handlungen sein.

Man muss die scheidende Bundeskanzlerin loben. Ohne ihre Gespräche mit dem belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko hätte sich die Lage an der Ostgrenze der EU nicht entspannt. Es waren die Härte der Polen und der Wille zu Verhandlungen – beides hat Minsk zum Einlenken bewegt.

Die Moraltrompeter, die sich an Merkels Anrufen stören, haben nicht begriffen, dass die Kanzlerin die alten Regeln der Brandtschen Ostpolitik befolgt und damit die Dinge in Bewegung brachte. Zu drei Einsichten kam Willy Brandt in den frühen Sechzigerjahren.

Erstens: Der Schlüssel für den Durchbruch von Verhandlungen mit den Osteuropäern liegt in Moskau. Zweitens: Der Status Quo lässt sich nur ändern, wenn man ihn anerkennt. Drittens: Agree to disagree, wir stimmen überein, dass wir nicht übereinstimmen. Auf diese Weise ließ sich sogar mit Vertretern totalitärer Regime sprechen, zu denen man nicht einmal diplomatische Beziehungen besaß.

All diese Grundsätze beherzigt Merkel genauso, wie sie – in Abwandlung – Henry Kissinger in den Gesprächen mit Nordvietnam oder Donald Trump am Tisch mit Nordkoreas Tyrannen Kim Jong-un befolgten.

Der Vorwurf der Grünen und zahlreicher Polen, Merkel habe mit ihrem Anruf Lukaschenkos Regierung anerkannt, mag zwar in den Augen starrsinniger Gesinnungsethiker zutreffen, doch läuft diese moralisierende Außenpolitik stets Gefahr, im Triumph der guten Gesinnung über die Gesetze des Verstandes zu enden. Man muss Lukaschenko faktisch (nicht de jure!) anerkennen, wenn er im Begriff ist, die EU-Außengrenze zu überrennen oder gar einen Krieg vom Zaun zu brechen.

Wer eine Krise dieses Ausmaßes nicht mit allen Mitteln zu entschärfen versucht, ohne dabei klein beizugeben, der mag zwar seiner Überzeugung treu bleiben, handelt aber zutiefst verantwortungslos. Gerade in der Außenpolitik kann das Bestehen auf der reinen Moral die unmoralischste aller Handlungen sein – zumindest wenn am Ende ein militärischer Konflikt droht.

Man kann nur hoffen, dass die Grünen, die in der nächsten Regierung wohl den Außenminister stellen werden, schnellstmöglich lernen, was Außenpolitik ist: das Abwägen von Möglichkeiten, das Erfassen der feinen Unterschiede zwischen den Alternativen und die Abkehr von einem gut gemeinten Fanatismus gesinnungsethischer Überzeugungen. Auch diese Fanatiker sind Menschen, die nur bis eins zählen können.

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