Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fordert Europa heraus. Mit seiner Ermunterung hat ein türkisches Gericht am Freitag entschieden, den seit vier Jahren ohne Urteil inhaftierten Kulturförderer Osman Kavala weiter im Gefängnis zu halten. Der Europarat hatte für diesen Fall mit einem Ausschlussverfahren gegen die Türkei gedroht, das in der kommenden Woche beginnen soll.
Das Verfahren ist langwierig und bürokratisch, doch es ist das schwerste Geschütz, das der Europarat besitzt, um Regelverstöße seiner Mitglieder zu ahnden. Entweder rechnet Erdogan damit, dass der Europarat in letzter Minute kuscht, oder der drohende Rauswurf ist ihm egal. Das Ergebnis ist dasselbe: Die Türkei verabschiedet sich endgültig von Europa.
Der Umgang der Türkei mit Kavala ist eine offene Kampfansage an die europäischen Normen der Rechtsstaatlichkeit.
Als Mitglied des Europarats muss sich die Türkei an Urteile des Menschenrechtsgerichtshofes in Straßburg halten, der schon vor zwei Jahren angeordnet hatte, den Kulturmäzen freizulassen. Ankara ignorierte den Befehl, weshalb der Europarat der Türkei eine letzte Frist setzte. Die ist mit der Entscheidung vom Freitag abgelaufen.
Beweise brauchen Erdogan und seine Richter nicht
Der 64-jährige Kavala sitzt seit vier Jahren hinter Gittern, weil Erdogan ihn für einen Staatsfeind hält. Beweise gibt es nicht, doch die brauchen Erdogan und seine Richter auch nicht.
[Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach – mit dem Newsletter “Washington Weekly” unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung.]Wie bei der Zinspolitik der türkischen Zentralbank, bei der Erdogan mit eigenwilligen Vorstellungen von Zinsen und Inflation in den vergangenen Tagen einen dramatischen Kurssturz der Lira verschuldete, zeigt sich auch beim Fall Kavala, dass in der Türkei die Neigungen und Abneigungen eines einzigen Mannes mehr wiegen als Institutionen oder Gesetze. Auf diesem ins Extreme getriebene Ein-Mann-Prinzip baut Erdogans Regierungssystem auf. Dieses Prinzip macht gleichzeitig Erdogans System unvereinbar mit Europa.
An der Kritik aus dem Westen am Verfahren gegen Kavala wird sich der türkische Präsident nicht stören: Er kontrolliert die meisten Medien im Land und behauptet, sein Land sei ein blitzsauberer Rechtstaat, auf den Amerika und Europa so neidisch seien, dass sie ihn ständig mit haltlosen Vorwürfen überziehen.
Das dürfte auch sein Argument sein, wenn der Europarat nächste Woche das Ausschlussverfahren beginnt – und viele Türken werden ihm glauben. Erdogan und seine Anhänger leben in einer Art Parallel-Universum, in der die politische Realität keine große Rolle spielt. Sie legen keinen Wert mehr auf Europa. Schon um der eigenen Glaubwürdigkeit willen, sollte der Europarat deshalb jetzt das Ausschlussverfahren auch wirklich einleiten.