Wie mit den Hardlinern umzugehen ist

Die politische Strategie ist alt: Die Feindschaft zum Westen und zu Israel soll von selbst gemachten Problemen ablenken. Dabei geht es nicht ohne Verhandlungen mit der EU.

Der Ton ist gesetzt. Der Oberste Führer des Iran, Ayatollah Ali Khamenei, hat zum Ausscheiden von Präsident Hassan Rohani und zur Übergabe an den Nachfolger Ebrahim Raisi ein Video veröffentlicht. Die Botschaft an die nächste Generation: Dem Westen ist nicht zu trauen. Es ist eine gnadenlose Abrechnung mit Rohanis Politik, dessen wichtigstes Projekt das Atomabkommen und die Normalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen mit Europa und dem Rest der Welt war.

Das Misstrauen ist erklärbar, schliesslich stieg der seinerzeitige US-Präsident Donald Trump aus dem Atomabkommen aus, obwohl der Iran sich penibel daran hielt. Allerdings ist Khameneis Argumentation verlogen: Die Rückkehr zu dem Deal – und damit eine Rücknahme von US-Sanktionen – scheitert nicht an Trumps Nachfolger Joe Biden. Es ist Khamenei, der verhindert hat, dass Rohani sein Land zurück ins Abkommen führt und damit der am Boden liegenden iranischen Wirtschaft Entlastung verschafft.

Der 82-jährige Oberste Führer hat die «zweite Phase der Revolution» ausgerufen. Zu deren Wesenskern gehört neben dem theokratisch-autoritären System: die Feindschaft zum Westen und zu Israel, gepaart mit dem Bestreben, der schiitisch-islamistischen Ideologie auch jenseits der Grenzen Geltung zu verschaffen. Verkörpert wird dies von den Revolutionsgarden und den von ihnen unterstützten, teilweise gesteuerten Milizen im Irak, im Jemen, im Libanon und in Syrien.

Die junge Generation kann mit «Tod Amerika!» nichts mehr anfangen.

40 Jahre nachdem Ayatollah Ruhollah Khomeini an die Macht kam, muss das Regime fürchten, dass seine Islamische Revolution zerbröselt. Die Generation ist alt, die daran und am Krieg gegen den Irak Saddam Husseins teilgenommen hat. Die Jüngeren hingegen können meist nichts anfangen mit hohlen Parolen wie «Tod Amerika!». Sie wollen ein auskömmliches Leben und ein gewisses Mass an Freiheiten – und sehen, wie das Regime versagt.

Es verschleudert Milliarden für Stellvertreterkriege, Raketen und Atomprogramm, während das Leben immer härter wird – was längst nicht nur an den Sanktionen liegt, sondern gleichermassen an Korruption und Inkompetenz. Das Regime verliert an Legitimität. Die Iraner haben das ihnen verfügbare Mittel genutzt, ihre Unzufriedenheit auszudrücken, und sind der von Khamenei veranlassten Farce einer Präsidentenwahl ferngeblieben.

Rohani dagegen hatte zwei Wahlen mit hoher Beteiligung klar gewonnen – mit dem Versprechen, den Ausgleich mit dem Westen zu suchen und den Sanktionen ein Ende zu machen. Er war kein Reformer, sondern ein konservativer Apparatschik; allerdings einer, der die Prinzipien der Revolution so pragmatisch handhaben wollte, dass dem Willen der Mehrheit der Iraner Genüge getan wird. Khamenei hat sichergestellt, dass dieser Kurs nicht fortgeführt wird: Alle aussichtsreichen Gegner Raisis liess er ausschliessen. Mit dem Parlament war er zuvor schon ebenso verfahren. Nun liegt die ganze Macht in der Hand der Hardliner.
Raisi war an schwersten Menschenrechtsverletzungen beteiligt

Das stellt Europa vor die heikle Frage, wie man mit dem Regime umgehen soll. Das Abkommen gilt hier als Beispiel der multilateralen Diplomatie, als Gegenmodell zu Alleingängen und als Beleg, dass sich Konflikte zumindest einhegen lassen, statt sie militärisch auszufechten. Ob Raisi ein Partner sein kann und will, muss sich erst zeigen; immerhin ist er jemand, der persönlich für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist.

Aber das Atomabkommen bleibt das Atomabkommen. Sein Ziel ist, dass sich der Iran keine atomare Bewaffnung verschaffen kann. Allein daran ist es zu messen. Der Iran kann zu Recht verlangen, im Gegenzug wirtschaftliche Erleichterungen zu bekommen. Allerdings steht es nicht in seinem Ermessen, wann und wie er dann die Bestimmungen wieder einhält. Auch ist das Abkommen, anders als Khamenei es gerne hätte, keine Generalversicherung gegen Sanktionen – erst recht nicht, wenn er Gespräche über die Rolle des Iran in der Region und das Raketenprogramm kategorisch verweigert.

Den Weg zurück ins Abkommen zu suchen, verspricht für die Europäer bei Abwägung aller Kosten und Nutzen derzeit noch immer die beste unter den wenig erquicklichen Alternativen zu sein.
Die EU kann selbstbewusst gegen den Iran auftreten

Dabei darf das Abkommen weder zum Selbstzweck werden noch dazu führen, dass Europa wegschaut, wenn der Iran im Persischen Golf unbeteiligte Bürger auf einem Tanker tötet, weil der von der Firma eines israelischen Milliardärs betrieben wird. Wenn es der EU und den USA ernst ist mit den Menschenrechten, können sie auch nicht ignorieren, dass das Regime die selbst von Khamenei als berechtigt bezeichneten Proteste gegen den Wassermangel niederschiesst. Eine zweigleisige Strategie mit Angeboten und neuen Elementen des Drucks sollte Raisi genau das signalisieren. Die EU kann dabei durchaus selbstbewusst auftreten. Ohne eine Rückkehr zum Atomabkommen wird Raisi sein Land nicht aus der Krise führen können.

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