Ein PR-Sieg für den islamistischen Terror

Eine Demütigung für den Westen. Die Schockwellen werden bald Europa erreichen: Durch Flüchtlinge und die Radikalisierung von Islamisten. Ein Kommentar. Christian Böhme

Keiner hat sie aufgehalten. Provinz um Provinz, Stadt um Stadt fiel in die Hände der Islamisten. Widerstand? Nicht der Rede wert. Weder die Sicherheitskräfte der afghanischen Regierung noch die Milizen der Warlords konnten – oder wollten – dem blitzartigem Ansturm etwas entgegensetzten.

Deutschland und andere Länder hat das Tempo des Vormarschs der Taliban regelrecht überrumpelt. Mitarbeiter der diplomatischen Vertretung, Vertreter von Hilfsorganisationen und einheimische Helfer sollen erst jetzt in Sicherheit gebracht werden. Hoffentlich ist das nicht zu spät.

Denn Kabul ist gefallen. Präsident Ghani überlässt die Hauptstadt den Angreifern „friedlich“. Es bestehe kein Grund zur Panik. Ach, ja? Das ist menschenverachtender Unsinn! Jedem ist klar: Der Abzug der internationalen Truppen inklusive der Bundeswehr hat Willkür und Unterdrückung den Weg geebnet. Am Ende steht die brutale Herrschaft der Taliban über ein 30-Millionen-Volk.
Statt Selbstbestimmung wieder Sittenwächter

Künftig bestimmen Fundamentalisten und die Scharia den Alltag der Menschen. Mädchen und Frauen werden unterjocht, müssen Burka tragen, dürfen nicht zur Schule gehen. Wer sich den Anweisungen der Taliban widersetzt, wer zum Feind und Verräter erklärt wird, der ist seines Lebens nicht mehr sicher. Allen voran jene Ortskräfte, die den einstigen „Besatzern“ zugearbeitet haben. Die zarten Ansätze von Freiheit und Selbstbestimmung weichen der Macht der Kalaschnikows und der Patrouillen erzkonservativer Gesinnungswächter.

Das Schicksal der Afghan:innen wird von großen Teilen der Welt bedauert. So, als habe man mit dem Schlimmsten einfach nicht rechnen können. Dabei kündigte sich das Desaster vor aller Augen an. Jahrelang haben sich die Islamisten mit großem Geschick auf den Tag X vorbereitet. Jeder wusste das. Der Triumphzug der Taliban war einer mit Ansage. Und er ist einer, der seine Wirkung nicht nur in Afghanistan selbst entfalten wird. Erstmals seit Aufstieg und Fall des sogenannten Islamischen Staats beherrschen mit den Taliban wieder „Gotteskrieger“ ein ganzes Land.

Die militante Islamistenszene, diese Internationale des Terrorismus, wird das als Sieg über den verhassten Westen feiern. Wird jubeln, dass selbst der „große Teufel“ Amerika in die Knie gezwungen wurde – und das kurz vor dem 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001, als Al Qaida und Co. den USA und ihren Verbündeten das Fürchten lehrten und die Welt von Grund auf veränderten. Mehr PR für die eigene Sache geht kaum.

Millionen Unzufriedener, die vielen Wütenden in der muslimischen Welt, die sich vom Westen gegängelt fühlen – sie werden die Erfolgsserie der Taliban aufmerksam verfolgen und mit Beifall goutieren. Auch der „Islamische Staat“, der keineswegs bezwungen ist, könnte von den Machtverschiebungen profitieren. Schon heute versucht er, Afghanistan den Taliban und ihrem Partner Al Qaida zu entreißen, um das Land am Hindukusch – wie einst im Irak und in Syrien – in ihr totalitäres Aufmarschgebiet zu verwandeln.

Als Erste werden das die Staaten in Zentralasien zu spüren bekommen. Dort gewinnen extremistische Kräfte immer mehr Einfluss, der Islam hat großen Zulauf. Das beunruhigt nicht nur die Autokraten in der Region, sondern auch die Großmächte Russland und China. Moskau will ebenso wie Peking unbedingt verhindern, dass der Islamismus sich an ihren Grenzen und in ihren Ländern weiter ausbreitet. Ob die Abwehr der Fanatiker auf lange Sicht gelingt – und um welchen Preis –, ist eine ganz andere Frage.

Fest steht aber längst: Der Fall Afghanistans wird Schockwellen erzeugen, die Europa und der Westen rasch zu spüren bekommen. Die Flüchtlinge, die sich – vom Tode bedroht – in Sicherheit bringen müssen, sind das eine. Das andere sind jene, die sich bis hin zum Terror radikalisieren werden, inspiriert von den Siegen der Taliban gegen ihre gar nicht mehr so mächtig wirkenden Feinde. Es wird sich rächen, das afghanische Volk den Islamisten überlassen zu haben.

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