Im Streit um Polens Justizreform hat der Europäische Gerichtshof eine Millionenstrafe gegen das Land verhängt. Dieses Vorgehen ist der voraussichtlich einzige wirksame Weg, den die EU im Rechtstreit mit seinem Mitglied de facto in der Hand hat, kommentiert Bettina Klein. Für Polen gehe es ans Eingemachte.
Die heute verhängten Strafzahlungen gegen Polen sind nur der erwartete nächste Schritt in einem Rechtsverfahren des Europäischen Gerichtshofs. Die EU Kommission hatte den EuGH am 7. September gebeten, Strafzahlungen zu verhängen. Heute, anderthalb Monate später, setzte das Gericht nun die Zahlungen fest. Ein einfaches Beispiel funktionierender Institutionen und funktionierender Rechtstaatlichkeit in der EU.
Auch über die Höhe dieser Zahlungen war damals spekuliert und festgestellt worden, dass diese allein im Ermessen des Gerichtes liegt. Politiker aus dem Europäischen Parlament hatten argumentiert, angesichts der Grundwerte, die auf dem Spiel stehen, dürfte die Strafe in einer wohl etwas anderen Dimension ausfallen als bei der Abholzung eines unter Naturschutz stehenden Waldes. Dafür hatte der EuGH seinerzeit 100.000 Euro pro Tag angedroht.
Eine Million Euro pro Tag
Die Zahlung von einer Million Euro pro Tag ist nun die Höchste, die das Gericht jemals gegen einen EU-Mitgliedstaat verhängt hat. Zusätzlich zu den 500.000 Euro, die Polen zahlen muss, weil es entgegen einer Anordnung am Braunkohleabbau im Tagebau Turow festhält – eine stattliche Summe. Wenn Polen nicht einlenkt, sind das 45 Millionen pro Monat.
Und die polnische Regierung kann sich hier nicht aussuchen, ob sie zahlt oder nicht. Weigert sie sich, werden diese Summen von den Zahlungen einbehalten, die Polen – als größtem Nettoempfänger – aus dem EU-Haushalt zustehen. Mit anderen Worten: Hier geht es wirklich ans Eingemachte. Geld ist der voraussichtlich einzige wirksame Hebel, den die EU im Rechtstreit de facto in der Hand hat.
Polen sollte leisere Töne anschlagen
Diese Millionen Strafzahlungen sind nämlich noch gar nichts gegen das, was die polnische Regierung eigentlich zu befürchten hat: 36 Milliarden aus dem Corona-Aufbauplan stehen in Frage. Fünf Milliarden davon könnten noch in diesem Jahr ausgezahlt werden, sofern in den nächsten Wochen dafür die Entscheidung fällt. Ob die Kommission sich dazu tatsächlich durchringt, ist offen. Auch die Mitgliedstaaten müssten der Auszahlung der Gelder aus dem Aufbauplan zustimmen.
Einerseits soll mit dem Geld die Wirtschaft angekurbelt werden, und sie soll den Bürgern zugutekommen, die überwiegend ihre Zukunft in der Europäischen Union sehen. Und die, die EU nicht im Stich lassen will. Andererseits ist in diversen Staaten das Bedürfnis gering ausgeprägt, an Polen, das den Rechtsstaat abbaut, auch noch finanzielle Belohnungen auszuschütten.
Wenn die polnische Regierung also nicht gänzlich von einer vermeintlich heldenhaften Untergangssehnsucht getrieben ist, dann wird sie still und leise nach einem Weg suchen, von jenem Baum herunterzusteigen auf den sie unter martialischen Tönen und verbaler Eskalation öffentlich geklettert ist. Es gibt Anzeichen dafür, dass es so kommt. Sicher ist es nicht. Die Millionenstrafzahlungen sind nur ein erster Hinweis darauf, was dem Land noch drohen könnte.