Russland will eine Aufteilung Europas nach dem Muster von Jalta 1945 erzwingen. Dem dürfen die USA nicht zustimmen, auch wegen China und Taiwan.
Für Joe Biden ist Wladimir Putin ein lästiger Quälgeist. Der US-Präsident möchte seine Energien darauf konzentrieren, seine innenpolitischen Projekte durch den Kongress zu bringen. Die Mehrheit dort droht er bei der Wahl 2022 zu verlieren.
Doch Putin zwingt ihn mit seinem militärischen Aufmarsch an der Grenze zur Ukraine zu einem Videogipfel. Offenbar will er eine Aufteilung der Einflusssphären in Europa erreichen – 1945 in Jalta. Die Trennlinie läge weiter östlich als damals. Moskau beansprucht die Kontrolle über die Ukraine und Belarus.
Ist das klug: jemanden zu einem Gespräch zu zwingen, auf das der keine Lust hat, und dann Zugeständnisse zu erwarten? So gefragt, natürlich nicht. Aber Putin ist nicht in einer Lage, in der er als attraktiver Verhandlungspartner auftreten kann.
Er hat weder der Ukraine noch den USA etwas Konstruktives anzubieten. Und freiwillig wird sich Kiew Russland nicht wieder unterordnen. Also verlegt sich Putin darauf, Destruktives anzudrohen.
Seine Verhandlungsstrategie folgt einer ganz anderen Psychologie als das Geben und Nehmen, auf das man sich im Westen gewöhnlich bei der Lösung von Interessenkonflikten einstellt. Sie ist noch erstaunlicher angesichts der Kräfteverhältnisse. Ökonomisch sind die USA 14 Mal stärker als Russland, gemeinsam mit der EU 25 Mal.
Militärisch ist die Nato Russland weit überlegen. Wie kann das sein: Der Schwache droht dem Stärkeren mit Ungemach?
Völlig aussichtslos ist das nicht. Zu einem für Biden ungünstigen Zeitpunkt zwingt Putin ihn mit seiner Quälgeiststrategie zu mehreren Abwägungen: Wie wichtig ist ihm eine unabhängige Ukraine? Es wäre nachvollziehbar, wenn Biden sich nicht von seinen innenpolitischen Prioritäten ablenken lassen will und weder viel Zeit noch Ressourcen in das Ziel investieren möchte, die Ukraine vor Putins Zugriff zu bewahren.
Biden könnte versucht sein, nachzugeben, wäre da nicht China
In Abwägung mit dem Risiko, innenpolitisch zu scheitern, ist die Ukraine für sich genommen zweitrangig. Doch was Biden tut oder lässt, hat Konsequenzen für China und Taiwan. Wenn die USA tolerieren, dass ein relativ schwaches Russland die souveräne Ukraine unter seine Kontrolle zwingt, dürfte ein weit stärkeres China dies als Signal verstehen, es könne Taiwan besetzen, ohne ernste Konsequenzen fürchten zu müssen.
[Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach – mit dem Newsletter „Washington Weekly“ unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung]So geht es bei dem Videogipfel um nicht weniger als die künftige Weltordnung. Putin hat die zentralen Vereinbarungen aus der Epoche der Freiheit, die 1989 begann, gebrochen.
In der Charta von Paris sprach Moskau 1990 jedem Staat das Recht zu, seine Bündnissysteme frei zu wählen. Im Memorandum von Budapest garantierte es der Ukraine 1994 die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen, damit die ihre Atomwaffen abgab.
Die Ampel muss entscheiden: Gas-Geschäfte oder Containment
Putin möchte zurück in die Welt von Jalta: politische Kontrolle, soweit die Armeen des Kreml vordringen. Er setzt auf Zwang. Dass eine Mehrheit der Ukrainer freiwillig mit ihm kooperiert, darf niemand ernsthaft erwarten. Dass er Verträge einhält, auch nicht.
Die Frage, was sich aus der Freiheitsepoche nach 1989 bewahren lässt und wie, verlangt nicht nur Biden Antworten ab. Auch das neue Ampel-Kabinett wird sich schneller, als ihm lieb ist, festlegen müssen: Kann es Energiegeschäfte, aus denen Putin sein Militär finanziert, Stichwort Nord Stream, noch verantworten? Oder muss auch Deutschland auf Eindämmung setzen?