Russland hat gestern seine Forderungen für ein Ende der NATO-Osterweiterung und Sicherheitsgarantien der Allianz vorgelegt. Noch am Vortag hatten die Staaten der Europäischen Union in einer gemeinsamen Gipfelerklärung klargemacht, dass Russland mit „massiven Konsequenzen und erheblichen Kosten“ rechnen müsste, sollte es zu weiteren Aggressionen gegen die Ukraine kommen. Nun, wenn es die Kremlführung ernst meint und einzig darauf aus ist, über eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa zu verhandeln, dürften die Warnungen der EU und ihrer westlichen Partner an die Adresse Moskaus bis auf Weiteres gegenstandslos sein. Denn Verhandlungen anzubieten und gleichzeitig die Vertrauensbasis für solche Gespräche mit einem Einmarsch in die Ukraine zu zerstören, wäre komplett widersinnig.
Die EU-Europäer dürfte es vor allem freuen, dass die USA in ersten Reaktionen auf die Vorschläge aus Moskau – die übrigens offensichtlich nur an Washington und die NATO adressiert waren – darauf verwiesen, dass sie sich zuerst mit ihren europäischen Partnern absprechen wollten. Denn sowohl in Brüssel als auch in Paris, Berlin und anderen EU-Hauptstädten wurde nach dem Video-Gipfel zwischen US-Präsident Joe Biden und Putin darüber gejammert, dass über ihre Köpfe hinweg über ihre Sicherheit geredet wird. Aus Putins Sicht ist das nur folgerichtig: Denn indem er die europäischen US-Verbündeten weiterhin als Washingtons Vasallen behandelt, untermauert er seinen Anspruch darauf, seinen Einfluss in den unmittelbaren ex-sowjetischen Nachbarstaaten Russlands geltend zu machen.
Dieser imperiale Reflex Putins spiegelt sich denn auch in den Forderungen Moskaus wider, in denen verlangt wird, dass sich die NATO-Staaten aus der Ukraine und anderen Staaten Osteuropas, des Südkaukasus und in Zentralasien zumindest militärisch heraushalten sollten. Es ist kaum davon auszugehen, dass sich der Kremlherr dazu verpflichtet, ebenfalls seine Finger von diesen Ländern zu lassen.
Was Moskau verlangt, ist aus westlicher Sicht unrealistisch. Die EU-Staaten und die USA können unmöglich ein internationales Sicherheitsabkommen mit aushandeln, in dem es letzten Endes darauf hinausläuft, unabhängigen und souveränen Staaten zu verbieten, selbst über ihre sicherheits- oder bündnispolitische Ausrichtung zu bestimmen. Das würde bedeuten, eines der Grundprinzipien der internationalen Staatenordnung, die Souveränität eines Landes, grundlegend zu untergraben. Es fragt sich daher, wie ernst es Wladimir Putin mit seinem Verhandlungsangebot ist. Vor allem da die gegenwärtige Konfliktsituation, die derzeit im Osten Europas besteht, vom Kreml selbst ausgelöst wurde. Dass die NATO-Staaten überhaupt Truppen in die baltischen Staaten sowie nach Polen verlegt haben, und das auch nur in symbolischer Stärke, ist einzig und allein eine Reaktion auf die russische Annexion der Krim sowie die massive Unterstützung der Rebellen im Osten der Ukraine durch Moskau.
Man darf aber gespannt darauf sein, welche Gegenvorschläge Washington in Absprache mit den EU-Europäern kommende Woche Russland präsentieren wird. Darin könnten etwa die Forderungen enthalten sein, dass Moskau die völkerrechtswidrig annektierte Krim zurückgeben und sich aus dem Krieg in der Ostukraine heraushalten muss. Was nach westlicher Auffassung eine Selbstverständlichkeit ist, aus Moskauer Perspektive aber wohl unrealistisch. Zwischen diesen beiden Sichtweisen muss dann ein Kompromiss ausgearbeitet werden.