Neue türkische Freunde: Erdogan will sein Drohpotenzial gegenüber dem Westen vergrößern

Neue Reibereien der der Türkei mit den USA und Europa sind absehbar. Doch die Allianz mit Xi und Putin ist vorerst keine realistische Alternative. Ein Kommentar.

Während des Gipfels der Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit (SCO) vorige Woche in Usbekistan erschien in türkischen Medien ein Foto von einer vergnügten Männerrunde. Präsident Recep Tayyip Erdogan saß während einer Pause mit Kremlchef Wladimir Putin, dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi, dem aserbaidschanischen Staatschef Ilham Alijew, dem weißrussischen Herrscher Alexander Lukaschenko und anderen Teilnehmern zusammen.

Für Erdogan-Anhänger war das Bild aus der Stadt Samarkand ein Beweis für die weltpolitische Bedeutung ihres Landes. Für Kritiker des türkischen Präsidenten symbolisierte es dagegen das Abdriften des Landes in das Lager der Autokratien.

Nach dem Gipfel gab Erdogan bekannt, dass er die Aufnahme des Nato-Landes Türkei in die von Russland und China dominierte SCO anstrebt – ein Sieg für die so genannten Eurasier in Ankara. Diese misstrauen den USA und Europa und plädieren für eine Umorientierung vom Westen nach Osten.

Arm in Arm mit Putin

Auch Erdogan persönlich scheint die Reise nach Usbekistan genossen zu haben: Videoaufnahmen zeigten ihn Arm in Arm mit Putin – so gut wie mit ihm kommt Erdogan mit keinem westlichen Staats- oder Regierungschef aus.

Erdogan ist sicher, dass sich die Sonderstellung der Türkei auszahlt. Ankara liefert Kampfdrohnen an die Ukraine, hält aber gleichzeitig engen Kontakt zu Moskau. Während der Westen mit Sanktionen gegen Putins Regierung vorgeht, steigert das Nato-Land Türkei seinen Handelsaustausch mit Russland.

Die türkischen Exporte nach Russland schossen im August im Vergleich zum Vorjahresmonat um fast 90 Prozent nach oben.

Anschluss an den nicht-westlichen Block

Im Beitritt der Türkei zur SCO sieht Erdogan die Chance auf Anschluss an einen nicht-westlichen Block, mit der das Land seine geostrategische Bedeutung steigert. Der krisengeplagten türkischen Wirtschaft soll der Schritt neue Märkte öffnen. Für die SCO, die in Usbekistan die Aufnahme des Iran als neuntes Vollmitglied besiegelte, wäre der Beitritt ein Gewinn. Aber so weit ist es noch nicht.

Wirtschaftlich ist die Türkei fest in den Westen integriert. Amerika und Europa stellen sieben der zehn größten Abnehmer türkischer Ausfuhren. Das Land exportiert zehnmal so viele Waren nach Deutschland wie nach China.

Ankara kann die Handelsbeziehungen zu SCO-Ländern wie Russland nicht beliebig ausbauen: Schon jetzt warnen Europa und Amerika die Türken, sie könnten als Partner der Russen in den Strudel der Sanktionen geraten. Selbst China ist im Handel mit Russland vorsichtig.

Konfiktreiche Allianz

Auch politisch ist die SCO-Welt nicht so konfliktfrei, wie es das Foto aus Samarkand suggeriert. Putin scheiterte mit dem Versuch, sich die Unterstützung des chinesischen Staatschefs Xi Jinping für seinen Feldzug gegen die Ukraine zu sichern.

Die wirtschaftliche und militärische Schwächung Russlands durch den Krieg verändert die Gleichgewichte in der SCO zugunsten von China. Zwei andere SCO-Mitglieder – Kirgistan und Tadschikistan – lieferten sich während des Treffens schwere Grenzgefechte.

Als SCO-Mitglied könnte sich die Türkei irgendwann gezwungen sehen, sich zwischen ihren Nato-Verbündeten und ihren neuen Freunden zu entscheiden. Russland will die Schanghai-Organisation zu einem Militärbündnis ausbauen und hat für das kommende Jahr gemeinsame Manöver vorgeschlagen. Moskau sehe die SCO als „eine Art Anti-Nato“, analysierte die europäische Denkfabrik ECFR.

Dass die Türkei auf das Beistandsversprechen der westlichen Allianz verzichtet und sich ganz Russland anvertraut, ist sehr unwahrscheinlich.

Vielmehr will Erdogan mit seinem Liebäugeln mit der SCO seinen Wählern imponieren, seine Beziehungen mit Putin festigen und sein Drohpotenzial gegenüber dem Westen vergrößern: Schaut her, wir können auch anders.

Neue Reibereien zwischen Ankara und den USA und Europa sind absehbar – aber eine realistische Alternative zum Westen ist die SCO für die Türkei auf absehbare Zeit nicht.

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