Die Opposition um Tusk muss mehr tun

Gemessen am Anlass seien in Polen zu wenige Teilnehmer auf den Straßen gewesen, kommentiert Peter Sawicki die Pro-EU-Proteste gegen das Urteil des Verfassungsgerichts. Auswanderung und politische Apathie erschwerten eine breite Mobilisierung. Der polnischen Opposition um Donald Tusk fehle es außerdem an Einigkeit.

Wer auf ein starkes pro-europäisches Signal in Polen gesetzt hatte, konnte sich auf den ersten Blick bekräftigt fühlen. In mehr als 100 Städten füllten sich Sonntagabend die Straßen. Allein in Warschau protestierten etwa 100.000 Menschen gegen das schändliche, hochgefährliche Urteil des sogenannten polnischen Verfassungsgerichts, das das EU-Recht de facto aushebelt. Doch auch abseits der Metropolen war der Widerspruch gegen das Urteil und damit gegen die PiS-Regierung sichtbar – die Proteste erstreckten sich über alle Regionen des Landes.

Gleichwohl relativiert ein genauerer Blick die politische Vehemenz hinter den Kundgebungen. Beispielhaft steht dafür Donald Tusk. Seit drei Monaten mischt der frühere Premier wieder in der polnischen Politik mit. Der Effekt seines Comebacks ist aber verpufft. Das sieht man auch darin, dass seinem Aufruf an weitere Frontfiguren der Opposition zu einem gemeinsamen Auftritt nicht alle folgten.

Szymon Holownia, ein pro-europäischer, liberalkatholischer Ex-Publizist und Dritter bei den Präsidentschaftswahlen 2020, hielt zwar eine flammende Rede – aber in Bialystok, im Osten des Landes, und somit nicht mit Tusk. Das war eine verpasste Chance, in einem kritischen Moment über Parteigrenzen hinweg ein Zeichen der Einigkeit in der Sache zu senden.

Donald Tusk – weiterhin eine Reizfigur

Das liegt aber auch an Tusk selbst. Er ist wegen seiner früheren, in Teilen neoliberalen Politik nicht nur in PiS-Kreisen weiterhin eine Reizfigur. Eine neue, überzeugende Programmatik lässt seit seiner Rückkehr auf sich warten. Das Gleiche gilt für eine personelle Neuausrichtung von Tusks Partei Bürgerplattform. Das alles braucht es aber, um über den eigenen Wählerkern hinaus Zustimmung zu generieren.

Und hier liegt die zweite Ursache der begrenzten Kraft der Pro-EU-Proteste. Auswanderung und eine seit dem Ende des Kommunismus nie ganz überwundene politische Apathie erschweren eine breite Mobilisierung. Das war auch am Sonntag sichtbar. Gemessen an der Dringlichkeit des Anlasses waren insgesamt zu wenige Teilnehmer auf den Straßen.

Viele Menschen aus dieser eher unpolitischen Schicht spüren die desaströsen Effekte der Politik der nationalkonservativen Regierung bisher kaum. Das würde sich ändern, wenn die EU jetzt Ernst machen und Fördergelder in Milliardenhöhe zurückhalten würde. Öffentliche Investitionen, die angesichts der Corona-Pandemie zwingend nötig sind, würden ausbleiben.

Die Unpolitischen müssen sich entscheiden

Zwar wäre dies für die PiS Anlass, erneut die plumpe Anti-Brüssel-Karte auszuspielen. Gleichzeitig weiß auch sie, dass die übergroße Mehrheit in Polen nach wie vor ihren Platz in der EU sieht. Doch auch die Unpolitischen im Land müssen sich klar machen – eine EU-Mitgliedschaft mit all ihren Vorteilen gibt es nicht umsonst.

Hier kommt erneut die Opposition rund um Tusk ins Spiel. Sie muss darlegen, dass die Politik der jetzigen Regierung dem Land schadet – und überzeugen, warum sie die bessere Alternative ist. Schafft sie es nicht, wird sie mitverantwortlich sein, wenn sich in Polen tatsächlich die Stimmung dreht, und das Land den fatalen Weg raus aus der EU antritt.

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