Der Westen ist in Afghanistan gescheitert. Ein neuer Militäreinsatz, um die Taliban zu vertreiben, ist unrealistisch. Trotzdem haben die westlichen Truppen noch eine Aufgabe: Sie müssen Friedensverhandlungen erzwingen.
Der Westen ist gescheitert, in Afghanistan gescheitert. Das ist die bittere Wahrheit. Und jetzt?
Das Scheitern ist seit Langem klar – aber es wird uns jetzt in aller Deutlichkeit vor Augen geführt: Die einst von der Bundeswehr kontrollierte Stadt Kunduz ist weitgehend an die Taliban gefallen. Die vor 20 Jahren mit amerikanischer Waffengewalt vertriebenen Islamisten überrollen weite Teile des Landes im Handstreich: Nein, es ist nicht gelungen, Afghanistan zu stabilisieren. Nein, es ist nicht gelungen, eine stabile Demokratie aufzubauen. Hat man das eigentlich wirklich versucht? Und ist es richtig, sich jetzt einfach aus dem Staub zu machen?
Die Meldungen dieser Tage haben etwas von einem Déjà-vu: Schon 2015 eroberten die Taliban Kunduz, damals schlugen afghanische und alliierte Truppen sie gemeinsam wieder in die Flucht. Diesmal hat die Eroberung etwas Endgültiges.
Sie wirkt wie ein Vorbote für das, was wohl fast zwangsläufig folgen wird: Die Rückeroberung des ganzen Landes durch die Taliban. Die US-Geheimdienste haben ihre Prognosen revidiert, dass auch die Hauptstadt Kabul binnen zwölf Monaten an die Taliban fallen könnte – sie gehen jetzt von einem Monat bis 90 Tagen aus. Seit Mai, als der Abzug der US-Truppen begann, sind rund 80 Prozent der Bezirke des Landes entweder von den Taliban eingenommen oder umkämpft. Die Botschaft der USA und des Westens an die Regierung in Kabul ist eindeutig: Nun seid ihr auf euch allein gestellt.
Donald Trump und Joe Biden haben überstürzt gehandelt
Die Schuld daran, dass sich der Siegeszug der Taliban jetzt so beschleunigt, liegt bei zwei US-Präsidenten: Donald Trump schloss mit den Taliban ein Abkommen, das den Islamisten einen US-Abzug mit festem Datum versprach – und bei dem die afghanische Regierung nicht mit am Verhandlungstisch saß.